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Interview mit Alexandra Schladebeck

Alexandra Schladebeck erklärt im Interview mit OBJEKTspektrum die Vor- und Nachteile von Pair-Programming und spricht über die Herausforderungen in ihrem neuen Job als Geschäftsführerin des Systemhauses Bredex.

  • 25.06.2021
  • Lesezeit: 10 Minuten
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Johannes Mainusch: Du bist nach deinem Studium der Sprachwissenschaften in der IT gelandet, das Gravitationsfeld der Computerwelt hat dich eingesaugt.
Alex Schladebeck: Ja, ohne dass ich damals wusste, dass es dieses IT-Gravitationsfeld gibt. Also, ich bin da wirklich reingefallen in die IT. Als ich 2005 aus Liverpool nach Deutschland kam, wollte ich eigentlich nur zwei Monate im Restaurant jobben, um etwas Geld zu verdienen. Ich war gerade mit meinem Studium der Sprachwissenschaften und den Fächern Französisch und Deutsch fertig und wollte besser Deutsch lernen. Aber einen Job zu finden, war schwerer als gedacht. Und so saß ich mit ein paar Freunden in der Mensa, als mir einer einen Aushang für eine Aushilfe als Übersetzer vorbei brachte. Das war mein erster Kontakt mit Bredex. Als Übersetzerin sollte ich eine englischsprachige Dokumentation einer Software erstellen. Aber es gab kein Quelldokument, weshalb ich dann plötzlich eher technischer Dokumentarist war. So lernte ich, mit Linux zu arbeiten, mit emacs und mit latex. Das waren meine ersten Schritte in die IT und auch die ersten Schritte ins Testen, denn da es keine richtigen Quelldokumente für meine ersten Übersetzungsarbeiten gab, musste ich viele Fragen stellen und fand so nach und nach heraus, was die Software machen sollte. Hierbei halfen mir tatsächlich meine Skills aus dem sprachwissenschaftlichen Studium. Aber, wie gesagt, ich bin da komplett blauäugig in die IT reingelaufen.

„Durch crossfunktionale Teams verhindern wir Wissensinseln”

... und dann hast du dich von der Übersetzerin zur Geschäftsführerin der Firma katapultiert, vom Tellerwäscher zum Millionär in Braunschweig ...
Das hat ein paar Jährchen gedauert. Es war auch nicht der Plan, als ich damals angefangen habe: „So in 15 Jahren bin ich eine von den Chefs dieser Firma”. Und die Frage kommt auch immer wieder, dass ich sehr sehr lange in der Firma bin. Ich hatte aber nie den Wunsch, irgendwo hin zu wechseln, denn ich hatte keine zwei Jahre hintereinander genau dieselbe Rolle und Aufgabe, sondern ich konnte immer lernen und wachsen und andere Leute unterstützen, befähigen und sich entfalten lassen. Und ich glaube, es wird jetzt, wo ich Geschäftsführerin bin, auch nicht mehr langweilig.

Hast du denn inzwischen auch eine formale Sprache gelernt, also eine Computersprache?
Ich habe ein paarmal unseren Java-Kurs mitgemacht und vor ein paar Jahren war ich in den Basics wirklich relativ fit. Ich arbeite gern im Pairing mit Leuten, und wenn ich neben einem Entwickler sitze, sage ich manchmal den Spruch: Ich wäre mittlerweile fast ein Senior-Entwickler, nur dass ich nicht programmieren kann. Ich weiß, wie Sachen grundsätzlich zu strukturieren sind oder was die Vor- und Nachteile von irgendwas wären, aber ich kann es selbst nicht umsetzen.

Helfen Diversität und unterschiedlicher Wissenstand beim Pair-Programmieren?
Es hängt davon ab, was das Ziel bei Pairoder Ensemble-Programming ist. Manchmal gilt es, schwierige Probleme schnell zu lösen, dann könnte es sein, dass wir 2 oder 5 von unseren schlausten Köpfen brauchen und keine Zeit für Querfragen haben. Aber oft helfen sehr diverse Zusammensetzungen, um beim Pair-Programming zu verhindern, dass stundenlang in die falsche Richtung gelaufen wird. Außerdem hilft es enorm dabei, neue Leute ins Team zu boarden, oder zu zeigen, was unsere ungeschriebenen Regeln sind. Wie wir programmieren und wie wir mit Sachen umgehen, das wird dann alles nebenbei besprochen. Das ist viel besser, als wenn ich sage, hier ist eine Confluence-Seite, viel Spaß, das sind die Regeln, die wir zuletzt dokumentiert haben, aber eigentlich sind sie mittlerweile veraltet.

Also Pair-Programming, um schneller lernen zu können.
Genau, schneller lernen, gemeinsam an dem Problem arbeiten mit allen Köpfen, die dafür notwendig sind.

Du arbeitest jetzt auch in einem Beratungsunternehmen, das Software erstellt. Wie verkaufst du einem Kunden, dass du ein Team hinschickst, das noch lernt? Bezahlen Kunden gern für dein Lernen?
Ja, denn eine gute Lernkultur gehört einfach zu gutem Entwickeln dazu, wie beispielsweise auch Tests zu schreiben. Wir schicken Mitarbeiter auch häufig auf Kurse und Workshops, damit sie Experten werden oder neue Dinge lernen, denn die Informatik bleibt ja nicht stehen. Diese Fortbildungen bezahlen die Kunden natürlich nicht. Durch Lernen und Wissenstransfer, zum Beispiel in crossfunktionalen Teams, verhindern wir auch Wissensinseln. Wenn Person X im Projekt beispielsweise wegen Krankheit ausfällt, müssen wir dem Kunden nicht sagen: Sorry, er hat immer allein an allen Sachen gearbeitet und wir haben jetzt den Bus-Faktor. Das sind Sachen, die man an ein paar Beispielen tatsächlich auch als Risikovermeidungsstrategien gut verkaufen kann, und die meisten Kunden sind dafür sehr offen.

Man könnte ja auch sagen, ihr bringt damit eine Kultur des Lernens zurück zum Kunden. Kommt es vor, dass Software tatsächlich an einzelnen Personen hängt, und wenn die Personen in Rente gehen, dann muss zwangsläufig die Software auch in Rente gehen?
Ja, das kommt vor. Das fällt bei uns unter das Stichwort Softwaremodernisierung. Und Anfragen beispielsweise nach fünf Cobol-Entwicklern können wir nicht bedienen. Das sind alte Technologien und die Entwickler finden es spannender, im Web-Umfeld unterwegs zu sein und an neuen Sachen zu arbeiten. Oft sind aber Anforderungen aus der DSGVO der Auslöser für die Modernisierung alter Legacy-Software. Also alles, was mit Löschen und Archivieren von Daten und Nachvollziehbarkeit von Transaktionen zu tun hat.

„Das Spannendste an dem Job ist die Vielfältigkeit”

Ihr seid zu dritt in der Geschäftsführung. Was ist deine Aufgabe?
Ich bin seit 2020 in der Geschäftsführung. Von daher ist ganz offen gesagt eine meiner Aufgaben immer noch zu lernen, wie man Geschäfte führt. Wenn man wirklich über Rollen reden würde, ich bin noch Junior-Geschäftsführerin. Von daher befinde ich mich gerade mitten in meiner Lernzone und das freut mich, auch wenn die Sachen, die ich jetzt lernen darf, durchaus weitreichende Effekte haben können. Das ist manchmal ein bisschen beängstigend, aber ich genieße das. Außerdem verantworte ich die Bereiche Qualitätssicherung, Datenschutz und Requirements Engineering. Das Spannendste an dem Job ist die Vielfältigkeit. Du kannst morgens in einem Meeting sitzen, in dem es darum geht, diesen riesigen Rahmenvertrag zu gewinnen, mittags überlegen, was wir strategisch umsetzen müssen, um in der Welt in 5 Jahren zu bestehen, und dann kommt im nächsten Gespräch jemand rein und will wissen, wo soll ich vielleicht diese oder jene Aktivität hinbuchen. Ich bin sowohl für das Kleinste, was eventuell passieren kann, als auch für das Größte mitverantwortlich.

Würdest du sagen, Geschäftsführung ist der Job, der dir bisher am meisten Spaß macht?
Wahrscheinlich ja. Ich habe mir die Frage so nie gestellt, weil ich immer Spaß habe, wenn ich im Flow bin. Und ich bin weiterhin am Lernen. Das heißt aber nicht, dass die anderen Dinge vorher nicht Spaß gemacht haben.

Wie ist das letzte Jahr mit Corona für euch als Firma gewesen?
Als Junior-Geschäftsführerin eine spannende Zeit zum Einsteigen. Wir haben sofort einen Krisenstab gebildet, mit uns aus der Geschäftsführung, unserem Personal, unserer IT und unserer Finanz. In dieser Runde haben wir uns in der ersten Zeit zweimal täglich getroffen und besprochen, was passieren muss, damit wir alle ins Homeoffice können und die Projekte arbeitsfähig sind. Homeoffice haben wir innerhalb von zwei Tagen geschafft. Transparenz ist immer unheimlich wichtig, gleichzeitig wären die Sachen, über die man als Geschäftsführer nachdenkt, möglicherweise für einige Mitarbeiter beängstigend. Hier ein Gleichgewicht zwischen der richtigen Menge an Informationen zum richtigen Zeitpunkt und größtmöglicher Transparenz zu finden, ist herausfordernd. Insgesamt hat das im Team der Geschäftsführung gut funktioniert und an einigen Stellen hatten wir die Nase vorn, etwa als es hieß, Unternehmen sollen den Mitarbeitenden Corona-Tests zur Verfügung stellen, da hatten wir schon 300 Stück bestellt.

Wenn wir nach vorne schauen, werdet ihr je wieder so arbeiten wie vorher?
Ich bin gespannt. Also auf der einen Seite glaube ich, jetzt, wo viele Leute Homeoffice gemacht haben, wünschen sich viele, zurück in der Firma zu sein. Gleichzeitig freue gerade ich mich auf mehr Flexibilität. Meine Familie wohnt in England, ich habe Freunde in den Niederlanden und in Schottland. Die Vorstellung, Freunde und Familie nicht nur für ein Wochenende zu besuchen, sondern beispielsweise für eine Woche mit Homeoffice, das wäre toll. Das ist auch für uns eine Chance, Leute aus ganz Deutschland besser einzubinden. Ich glaube, es wird eine Mischform geben, also hybrides Arbeiten. Wenn Leute wieder im Büro sind, aber manche Leute remote sind, dann wird das unsere nächste Herausforderung.

„Ich bin der geborene Tester”

Wenn man sich die Informatik-Studiengänge anguckt und daraus resultierend die Arbeitenden in der Branche, dann sind das vornehmlich Männer. Du bist als Frau und Liverpooler in der deutschen Informatik doppelt divers. War das merkwürdig oder ganz normal?
Hier in der Firma war es immer normal. Ich habe nicht groß darüber reflektiert, dass ich eine von den wenigen Frauen war, auch, weil ich IT als Branche nicht kannte. Irgendwann mit den Jahren und vielen Konferenzen wurde es mir bewusster. Mir liegt das Thema Diversität sehr am Herzen und mittlerweile fällt es mir schon auf, wenn ich zu einem Meeting von Geschäftsführern oder auf eine Konferenz gehe. Oft denke ich, viele Leute wie mich gibt es hier nicht. Das hat mich aber nie davon abgehalten, mich hier wohlzufühlen.

Mir fällt das Plakat ein, das bei uns im Büro hängt und einen Hürdenlauf zeigt und darunter 10 Dinge, die man ankreuzen soll, und die Fragen lauten dann so: Bist du weiß, bist du Europäer, bist du ein Mann ...
Ich kenne das auch als Spiel mit Eimern und Bällen. Ziel ist, Bälle in die Eimer zu werfen. Die Mitspieler werden aufgeteilt, Leute in den vorderen Reihen sind natürlich viel viel näher an den Eimern, und dann gibt es auch noch Pluspunkte: Je mehr Bälle du versenkst, desto näher darfst du rankommen. Die Leute, die wegen des Systems weiter wegstehen, können von Anfang an weniger Bälle versenken und kommen dann auch nicht weiter nach vorne, weil sie keine Bälle versenkt haben, und so propagiert sich das.

Gehört zur Veränderung dazu, dass man seine privilegierte Position als solche erkennt und dann auch die Verantwortung dafür übernimmt und Veränderung zulässt?
Und auch wirklich auf andere zu hören, wenn man seine eigenen Privilegien nicht sieht. Ich bin damit sehr sehr vorsichtig, denn ich gebe auch Talks darüber, wie in Firmen Veränderung auch aus Positionen ohne formale Autorität, beispielsweise als Tester, erfolgen kann. Nun bin ich mittlerweile in dieser Firma selbst in einer Position, dass meine Ideen gehört werden. Das ist auch ein Privileg. Und nun muss ich darauf achten, für Feedback offen zu sein, auch wenn es schmerzt. Offen bleiben, auch wenn Dinge bei mir Emotionen triggern, trotzdem das Feedback annehmen und reflektieren, und schauen, was ich damit mache. Wir brauchen die Menschen um uns herum, um uns gerade zu ziehen. Und hier ist Diversität wichtig, um anderes zuzulassen. Ob es Frauen aus unserer Community sind, ob es schwarze Menschen sind, ob es Menschen mit anderen ethnischen Hintergründen sind, alles ist wichtig.

Alex, vielen Dank für das Gespräch!

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Johannes Mainusch ist Berater für Unternehmen, die Bedarf im Bereich IT, Architektur und agiles Management haben. Dr. Mainusch ist seit 2012 Mitglied der IT Spektrum-Redaktion.

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Alexandra Schladebeck: 37, Geschäftsführerin bei Bredex; Mag: Agilität, Qualität, Menschen, Reisen, Sport, Eichhörnchen; Mag nicht: Schlechte Prozesse; Heimat: Liverpool; Superkraft: Kommunikation Wunsch an die gute Fee: Mehr Zeit mit meiner Mutter; Motto: Explore!

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